Kaufmann KSTA 23/9/1999

Metronome, Monitore, Kameras
Videokünstler Andreas M. Kaufmann stört den Gleichwichtsinn
Von Renate Roos

„Keep moving on“ – wer kennt es nicht, das Credo unserer Tage. Im multimedialen Zeitalter avancierte das Erfolgsrezept für Körper, Geist und Geld zum Perpetuum mobile unserer Gesellschaft. Koordinationssysteme wie Zeit und Raum überdauern sich selbst, denn neu geschaffene Relationen lassen ganze Dimensionen, wie etwa die der Vergangenheit zu unfunktionellen Begrifflichkeiten verblassen.
Doch was, wenn Begriffe wie „vorwärts“, „rückwarts“, „seitwärts“ sowie „oben“ und „unten“ nicht mehr funktionieren?
In der Galerie Gabriele Rivet inszeniert der Videokünstler Andreas M. Kaufmann einen kunstvoll herbeigeführten Koordinationskollaps und bringt das Gleichgewicht auf teilweise schmerzhafte Weise ins Schwanken. Ein ganz normaler Fernsehbildschirm in einem ebenso unauffälligen, wenn auch engen Raum spiegelt die Bewegungen des Besuchers im Raum wider. Unterhalb des Bildschirms schlägt das Pendel eines Metronoms in regelmäßigem Takt. Und in demselben unerbittlichen Rhythmus schwankt das Bild des Besuchers auf dem Bildschirm hin und her.
Innerhalb von Sekunden verflüchtigt sich der Gleichgewichtssinn. Selbst der Versuch, aus der Reichweite des Kameraobjektivs zu fliehen, entpuppt sich als unmöglisches Unterfangen. Gebannt hängt das Auge am Bildschirm und sieht hilflos zu, wie sich der Raum auflöst und nur die absolute Empfindung der Enge zurückläßt, die klaustrophobische Qualität annehmen kann. Die Kamera befindet sich am Pendel des Metronoms. Bereits vor 63 Jahren klebte Man Ray die Abbildung eines Auges auf das Pendel eines Metronoms und stellte so metaphorisch den Wirklichkeitsanspruch der Wahrnehmung in Frage.
Andreas M. Kaufmann inszeniert nun die Frage als körperlich wahrnehmbares Phänomen, das der Besucher nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten selbst untersuchen kann. In einem zweiten Raum befindet sich ein tribünenartiges Gerüst, auf dem eine Vielzahl von Metronomen, Kameras und Monitoren in unterschiedlichen Rhythmen jeden Winkel des Raumes ausloten.
Das tickende Chaos der Metronome weckt ein andersartiges Bewusstsein von Zeit, Rhythmus und ihrer Wahrnehmung. Mit der Konzentration der eigenen Wahrnehmung beginnt das Gehirn bestimmte Töne zu filtern und lässt andere wiederum als körpereigene Rhythmen zu. Ein subjektives Wahrnehmungsphänomen, das übrigens auch unseren gesamten Alltag bestimmt.