Stadtrevue 3/96 s 154
 
Vertigo-Effekt
 
Der Projektionist Andreas M. Kaufmann in der Galerie Rivet
 

Lange vor der Erfindung des Kinos hatte die Laterna Magica die Leinwand erobert. Mit buntfarbigen Lichtbild-Schauen zogen ihre Projektionisten umher, und sie entdecken auch als erste den Reiz der überlagerten und manuell bewegten Wiedergabe. Mehr und mehr aber perfektionierten sich bald die technischen Abläufe und spätestens in der Tonfilmzeit war der Filmvorführer der "letzte Mann" der Industrie, Murnaus Hotelportier vergleichbar, der sein Berufsleben als Toilettenwächter beenden sollte. Erst als Andy Warhol in den 60er Jahren seine "Chelsea Girls" auf simultan vorzuführende Filmrollen verteilte, wurde der Vorführer wieder zum künstlerischen Partner des Filmemachers, der durch Verzögerungen das Zusammenspiel der Filmbilder beeinflussen konnte.
Drei mal zwei rotierende Diaprojektoren werfen zur Zeit abfotografierte Filmbilder aus Filmklassikern auf die Wände der Galerie Rivet; ein System von Glasscheiben sorgt für eine zusätzliche Zerlegung des Bildflusses. Stets entstehen neue Begegnungen der Leinwandgrößen, déja vus im allgegenwärtigen Jenseits der Kollektiven Erinnerung: Ingrid Bergman trifft posthum auf ihre Tochter Isabella Rosselini, Kirk Douglas als Spartacus begegnet Cocteaus Orpheus in Gestalt von Jean Marais. Dessen schwarzes Gegenstück, Camus´Orpheo Negro erinnert uns abermals daran, das auch das Kino ein Schattenreich ist, dem man schwer entrinnen kann. "Aus dem Reich der Toten" grüßt Kim Novak, und war nicht schon Orson Welles, im Labyrinth der Wiener Kanalisation, ein Gefangener der Unterwelt?. Auch er jedenfalls konnte, in Carol Reeds "drittem Mann" nur vorübergehend der Vergangenheit entfliehen.
Der in Münster lebende Künstler Andreas M. Kaufmann ist ein Nachfahre jener Projektionisten der Laterna Magica, wenn man seine Ahnen nicht noch weiter in der Vergangenheit suchen möchte: "Die Erfindung der Fotografie", sagt Kaufmann, "hat ihre Wurzeln in der Mathematisierung des Bildraums durch die Entdeckung der zentralperspektivischen Konstruktion in der Frührenaissance. Später profitierten die Vedutenmaler von der Entdeckung und erfanden eine sogenannte Camera Obscura. Die Fotografie und später der Film sowie das Fernsehen sind aus diesem Paradigma der Zentralperspektive nicht mehr ausgebrochen: jedes Film - und Fernsehbild besteht nämlich aus 24 beziehungsweise 25 zentralperspektivischen Bildern pro Sekunde. " Von der Geradlinigkeit des Lichteinfalls lenkt Kaufmann freilich ab, wenn er sein immaterielles Material durch gebrochene Glasscheiben in neue Bahnen weist.
Vergangenheit und Gegenwart treten in neue Beziehungen, wenn der Künstler vergessene Baupläne auf Hauswände projiziert oder Versatzstücke der Kunstgeschichte zu einer Maschinerie ikongraphischer Bezüge kompiliert. Wenn er sich nun konkret auf die Filmgeschichte bezielt, so mit einem auffälligen Interesse für das Orpheus-Motiv in all seinen Varianten. Passagen in überwirkliche Sphären bestimmen viele der 81 zitierten Filmsujets: Jarmuschs "Mystery Train". Lynchs "Wild at Heart", Allens "Purple Rose of Cairo"
Von gleicher Ambivalenz ist der Umgang mit dem filmischen Material: Auch wenn uns nur "klassische" Augenblicke aus "Filmklassikern" begegnen, bleibt das originale Zelluloid unangetastet. Von billigen Videokopien sind die Bilder abfotografiert, von wertlosen Abbildern der Abbilder. Der Mythos der Kinematographie wird so zwar stets zitiert, doch nie berührt. Die lakonisch "Umschau betitelte Installation gerät so weder zu Feier noch zur völligen Demontage der Filmgeschichte. Je weiter man sich ins Vertigo der rotierenden Lichtbündel vorwagt . je länger man die nie versiegende Bilderflut erlebt, desto abstrakter wird das Spiel, dessen Motive letztlich zweitrangig sind. So ist Kaufmanns Arbeit sowohl eine Wiederbelebung jener reinen Freude am Lichtspiel der Laterna Magica als auch ein Exkurs über die Geschichte ihrer weiteren Entwicklung. Das Filmbild kehrt so, kopiert und seiner Bewegung beraubt, zurück zur Zeit seiner Ahnen.