Lange
vor der Erfindung des Kinos hatte die Laterna Magica die Leinwand erobert.
Mit buntfarbigen Lichtbild-Schauen zogen ihre Projektionisten umher, und
sie entdecken auch als erste den Reiz der überlagerten und manuell
bewegten Wiedergabe. Mehr und mehr aber perfektionierten sich bald die
technischen Abläufe und spätestens in der Tonfilmzeit war der
Filmvorführer der "letzte Mann" der Industrie, Murnaus
Hotelportier vergleichbar, der sein Berufsleben als Toilettenwächter
beenden sollte. Erst als Andy Warhol in den 60er Jahren seine "Chelsea
Girls" auf simultan vorzuführende Filmrollen verteilte, wurde
der Vorführer wieder zum künstlerischen Partner des Filmemachers,
der durch Verzögerungen das Zusammenspiel der Filmbilder beeinflussen
konnte.
Drei mal zwei rotierende Diaprojektoren werfen zur Zeit abfotografierte
Filmbilder aus Filmklassikern auf die Wände der Galerie Rivet; ein
System von Glasscheiben sorgt für eine zusätzliche Zerlegung
des Bildflusses. Stets entstehen neue Begegnungen der Leinwandgrößen,
déja vus im allgegenwärtigen Jenseits der Kollektiven Erinnerung:
Ingrid Bergman trifft posthum auf ihre Tochter Isabella Rosselini, Kirk
Douglas als Spartacus begegnet Cocteaus Orpheus in Gestalt von Jean Marais.
Dessen schwarzes Gegenstück, Camus´Orpheo Negro erinnert uns
abermals daran, das auch das Kino ein Schattenreich ist, dem man schwer
entrinnen kann. "Aus dem Reich der Toten" grüßt Kim
Novak, und war nicht schon Orson Welles, im Labyrinth der Wiener Kanalisation,
ein Gefangener der Unterwelt?. Auch er jedenfalls konnte, in Carol Reeds
"drittem Mann" nur vorübergehend der Vergangenheit entfliehen.
Der in Münster lebende Künstler Andreas M. Kaufmann ist ein
Nachfahre jener Projektionisten der Laterna Magica, wenn man seine Ahnen
nicht noch weiter in der Vergangenheit suchen möchte: "Die Erfindung
der Fotografie", sagt Kaufmann, "hat ihre Wurzeln in der Mathematisierung
des Bildraums durch die Entdeckung der zentralperspektivischen Konstruktion
in der Frührenaissance. Später profitierten die Vedutenmaler
von der Entdeckung und erfanden eine sogenannte Camera Obscura. Die Fotografie
und später der Film sowie das Fernsehen sind aus diesem Paradigma
der Zentralperspektive nicht mehr ausgebrochen: jedes Film - und Fernsehbild
besteht nämlich aus 24 beziehungsweise 25 zentralperspektivischen
Bildern pro Sekunde. " Von der Geradlinigkeit des Lichteinfalls lenkt
Kaufmann freilich ab, wenn er sein immaterielles Material durch gebrochene
Glasscheiben in neue Bahnen weist.
Vergangenheit und Gegenwart treten in neue Beziehungen, wenn der Künstler
vergessene Baupläne auf Hauswände projiziert oder Versatzstücke
der Kunstgeschichte zu einer Maschinerie ikongraphischer Bezüge kompiliert.
Wenn er sich nun konkret auf die Filmgeschichte bezielt, so mit einem
auffälligen Interesse für das Orpheus-Motiv in all seinen Varianten.
Passagen in überwirkliche Sphären bestimmen viele der 81 zitierten
Filmsujets: Jarmuschs "Mystery Train". Lynchs "Wild at
Heart", Allens "Purple Rose of Cairo"
Von gleicher Ambivalenz ist der Umgang mit dem filmischen Material: Auch
wenn uns nur "klassische" Augenblicke aus "Filmklassikern"
begegnen, bleibt das originale Zelluloid unangetastet. Von billigen Videokopien
sind die Bilder abfotografiert, von wertlosen Abbildern der Abbilder.
Der Mythos der Kinematographie wird so zwar stets zitiert, doch nie berührt.
Die lakonisch "Umschau betitelte Installation gerät so weder
zu Feier noch zur völligen Demontage der Filmgeschichte. Je weiter
man sich ins Vertigo der rotierenden Lichtbündel vorwagt . je länger
man die nie versiegende Bilderflut erlebt, desto abstrakter wird das Spiel,
dessen Motive letztlich zweitrangig sind. So ist Kaufmanns Arbeit sowohl
eine Wiederbelebung jener reinen Freude am Lichtspiel der Laterna Magica
als auch ein Exkurs über die Geschichte ihrer weiteren Entwicklung.
Das Filmbild kehrt so, kopiert und seiner Bewegung beraubt, zurück
zur Zeit seiner Ahnen.
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